Liebe
Lesefreundinnen, liebe Lesefreunde
Lange habe ich
nichts von mir hören lassen. Das hatte nichts damit zu tun, dass ich nicht
gelesen hätte. Ganz im Gegenteil! Gelesen habe ich schon, aber im Hinblick auf
meinen anstehenden Sprachaufenthaltes in Shanghai habe ich mich sehr mit
Literatur aus und über China beschäftigt, und das dünkt mich für viele nicht so
interessant. Am kommenden Wochenende beginnt die Reise und ich werde euch
danach einige Lesevorschläge machen.

Trotzdem habe ich
zwischendurch natürlich auch noch ein paar andere interessante Bücher gelesen.
Da ist zum einen der letzte Roman von Orhan
Pamuk mit dem Titel Die rothaarige
Frau. Pamuk beschreibt in dem Buch die Geschichte von Cem, der bei einem
Brunnenbauer in die Lehre geht, um ihm bei einem Bohrprojekt in der Nähe eines kleinen
Orts ausserhalb Istanbuls zu helfen. Hier bekommt er Kontakt zu einer rothaarigen
Frau, in die er sich verliebt. Nach einem schrecklichen Unfall am Bohrloch
flieht Cem. Im weiteren Verlauf des Buches schildert Pamuk, wie Cem sich ein
Leben als Ingenieur aufbaut. Ich beschreibe die Handlung absichtlich so vage,
um möglichst wenig zu verraten. Bis zum Unfall am Bohrloch habe ich das Buch
mit Spannung gelesen. Das Bestreben von Cem, von seinem Meister anerkannt zu
werden, hat mich sehr berührt. Im weiteren Verlauf des Buches bekam ich
zunehmend den Eindruck, dass Pamuk gefangen ist von dem Bestreben, die Handlungen seiner Protagonisten mit der
Ödipusthematik zu verweben. Dadurch bekam die Handlung für mich etwas Konstruiertes
und Voraussagbares. Bevor ihr euch auf Grund meiner Aussagen gegen das Buch
entscheidet, würde ich euch raten, auch die Kritiken unter www.perlentaucher.de zu lesen.

Mit anfänglicher Skepsis
und zunehmender Begeisterung habe ich von Arno
Camenisch das Buch Der letzte Schnee
gelesen. Zwei Männer werden beschrieben, die an einem Skilift arbeiten in einem
Skigebiet, das auf Grund des Klimawandels zunehmend an Bedeutung verliert mit
der Konsequenz, dass das Gebiet inklusive dem Dorf und der Talschaft stirbt.
Die zwei Protagonisten werden von Camenisch als einfache Personen dargestellt,
die im Grunde nicht wirklich verstehen, was um sie herum passiert. Da der Autor
auch versucht, im Sprachcode der beiden zu schreiben, war ich zunächst etwas
ambivalent, da ich zunächst das Gefühl hatte, er mache sich lustig über sie. Mir
kam beim Lesen immer der Kabarettist Joachim Rittmeyer in den Sinn. Dieser
Eindruck verflüchtigte sich aber sehr schnell. Camenisch beschreibt die beiden in
ihrer fast schon tragischen Lebenssituation mit sehr viel Empathie und Liebe.
Das Buch finde ich sehr lesenswert.

Noch ein letztes
Buch möchte ich erwähnen. Es heisst Sturm
und Stille, geschrieben hat es Jochen
Missfeld. Wer ein Faible hat für die Nordsee, Schleswig Holstein und
Theodor Storm, dem kann ich dieses Buch sehr empfehlen. Missfeld, ein ehemaliger
Bundeswehrpilot, der bereits eine Storm-Biografie geschrieben hat, beschreibt
in dem Buch die Geschichte der Dorothea Jenssen, die über viele Jahre die
Geliebte von Storm war, und ihn schliesslich heiratete, nachdem dessen Frau nach der Geburt des siebten
Kindes gestorben war. Über das Leben der Dorothea Jenssen ist nur wenig
bekannt. Missfeld schreibt das Buch in Form einer Autobiografie, in die er
reale und erdichtete Ereignisse einflicht. Geschrieben ist es im Sprachstil und
der Denkweise des mittleren 19. Jahrhunderts. Obwohl ich die Sprache manchmal
etwas sehr beschaulich gefunden habe, hat mir das Buch sehr gefallen,
beschreibt Missfeld darin doch eindrücklich das Leben einer Frau, die aufgrund gesellschaftlicher
Normen zu einem schweren Leben gezwungen war, das sie mit grosser Stärke und Durchsetzungskraft
bewältigte. Und natürlich hat mir die Lektüre auch als ehemaliger
Schleswig-Holsteiner Spass gemacht.