Sonntag, 14. Mai 2017

Zwei Romane zum Thema des Rassismus und der Kunst in einem tyrannischen System



 











Liebe Lesefreundinnen, liebe Lesefreunde
Heute möchte ich euch gerne zwei Bücher vorlegen, die ich in der letzten Zeit mit Spannung und Interesse gelesen habe. Das erste ist der neuste Roman von Julian Barnes und trägt den Titel Der Lärm der Zeit. In dem Werk geht es um das Schicksal des russischen Komponisten Schostakowitsch, der nach anfänglicher Verehrung unter Stalin in Ungnade fällt und in permanenter Angst vor Verhaftung und Ermordung lebt. Das Buch kann unter verschiedenen Blickwinkeln gelesen werden. Da ist zum einen der mehr biografische Blickwinkel des Komponisten Schostakowitsch, der unter extrem bedrückenden und bedrohlichen Verhältnissen versucht, seine Musik zu schreiben und einfach nur zu überleben, was ihm gelingt, aber zu einem Preis, an dem er fast zugrunde geht. Man kann das Buch aber auch als Analyse eines tyrannischen Systems lesen, das die Menschen in einem Zustand permanenter Todesangst hält, um sie beherrschbar zu machen. Die Darstellung beider Ebenen ist Barnes hervorragend gelungen. Ich kann das Buch sehr empfehlen.

Der zweite Roman, den ich euch vorstellen möchte stammt von Toni Morrison und trägt den Titel Gott hilf dem Kind. Es ist das neuste Werk der hochbetagten Autorin, die sich in ihrem literarischen Schaffen immer wieder mit den Auswirkungen des Rassenkonflikts in den USA beschäftigt hat. Wenn ich jetzt mit einer eher kritischen Würdigung komme, dann wird es mir etwas unwohl zumute, kritisiere ich damit doch einer der grossen amerikanischen Schriftstellerinnen, eine Nobelpreisträgerin…
Der Roman beginnt damit, dass die hellhäutige Sweetness ein tiefschwarzes Baby bekommt, das sie von der Geburt an zutiefst verabscheut. Mit unerbittlicher Härte und Strenge erzieht Sweetness das Kind Lula Ann zu einem Leben in Anpassung und Unterwerfung. Lula jedoch, die sich zu einer bildhübschen Frau entwickelt und in der Kosmetikbranche erfolgreich Karriere macht, widersetzt sich diesem Diktat. Als ihr Partner sie verlässt und verschwindet, macht Lula Ann, die sich werbewirksam Bride nennt, auf die Suche nach ihm und damit auch nach sich selber. Diese Suche ist geprägt von Erfahrungen von Gewalt, Verrat, Misshandlung, bedingungsloser Liebe, und dies zusammengepfercht auf 200 Seiten. Diese Kürze bewirkt nach meinem Eindruck, dass den Personen bisweilen die wünschbare Tiefe fehlt. Ich kritisiere ja immer wieder die ausufernd dicken Romane, die in er letzten Zeit vermehrt gescghrieben werden, aber bei diesem hätte ich mir etwas mehr Ausarbeitung der Protagonisten gewünscht. Diese Kritik ändert aber nichts daran, dass ich das Buch mit Spannung gelesen habe.
Falls jemand von euch den Roman gelesen hat wäre ich froh um eine Rückmeldung.

Freitag, 5. Mai 2017

Ein wichtiges Buch über ein schwarzes Kapitel der amerikanischen Geschichte




 










Liebe Lesefreundinnen, liebe Lesefreunde
Dank meiner Lesegruppe bin ich auf eine amerikanische Autorin aufmerksam gemacht worden, die ich bisher noch nicht im Fokus hatte. Es handelt sich um Louise Erdrich, und das Buch, um das es heute geht, heisst Ein Lied für die Geister. Erdrich ist die Tochter einer Indianerin und eines Deutsch-Amerikaners, und das Buch spielt vor dem Hintergrund eines der schwärzesten Kapitel der amerikanischen Geschichte, nämlich der systematischen physischen und kulturellen Ausrottung der Indianer. Der Roman spielt in einem Reservat und behandelt die Geschichte zweier Familien, die auf tragische Weise miteinander verstrickt sind, weil der Vater der einen Familie aus Versehen den Sohn der anderen erschießt und daraufhin seinen Sohn der Opferfamilie als Ersatz anbietet. Auf psychologische ungemein differenzierte und mitfühlende Art und Weise beschreibt Erdrich die seelischen Zerstörungen und Bewältigungsbemühungen ihrer Protagonisten und gibt dem Leser damit einen tiefen Einblick in die bedrückende Situation eines Volkes, das verzweifelt versucht, seine Traditionen zu wahren und sich in der 'modernen' amerikanische Welt zu behaupten. Im Unterschied zu meiner Lesegruppe, die restlos angetan war, waren mir die Schilderung der Entwicklungen, die die einzelnen Personen durchmachten, bisweilen etwas arg idealisiert dargestellt, was aber meinen positiven Gesamteindruck nicht geschmälert hat. Ich kann das Buch vorbehaltlos empfehlen.