Donnerstag, 27. Oktober 2016

Ein Einblick in den chinesischen Untergrund












 Liebe Lesefreunde
Einen Einblick in das Leben im chinesischen Untergrund, jenseits der offiziellen Verlautbarungen und der glitzernden Bilder der chinesischen Metropolen, das bietet uns Liao Yiwu mit seinem Buch: Die Wiederkehr der Ameisen, das 2016 als Erstausgabe auf Deutsch erschienen ist. Liao Yiwu, der aus China geflohen ist und heute in Berlin lebt, beschreibt darin durch den Protagonisten des Romans, Lao Wei,  seine zahlreichen Begegnungen, Erlebnisse und Erfahrungen, die er auf seinen weiten Reisen durch China gemacht hat. Angefangen zu schreiben hat er im Gefängnis, in das er kam, nachdem er im Zusammenhang mit dem Tiannanmen-Massaker ein Gedicht in Umlauf gebracht hat, das von den Staatsorganen als umstürzlerisch beurteilt wurde. Wir erfahren viel über das harte Leben der einfachen Menschen, über die traditionellen Sitten, die auch heute noch einen immensen Einfluss ausüben, über die Brutalität des chinesischen Gefängnis- und Überwachungssystems und über den verzweifelten Kampf der Untergrundkünstler um ihre Ausdruckfreiheit. Immer wieder wird der Leser dabei in die chinesische Sagen- und Mythenwelt verführt, und die Grenzen zur Gegenwart, zur Realität werden bisweilen unklar und verwirrend diffus.
Liao zeigt uns einen Teil der chinesischen Realität, eingebettet in ein wunderbares literarisches Werk, das weit über das Dokumentarische hinausgeht. Wer sich für China interessiert sollte es lesen!

Dienstag, 18. Oktober 2016

Zwei Bücher zum Thema des Kampfes um Autonomie



                                         
                                         

 










 Liebe Lesefreunde

Heute möchte ich euch von zwei Büchern aus ganz unterschiedlichen Welten berichten. Das eine heisst: Eine Liebe im Kaukasus und ist geschrieben von Alissa Ganijewa, das andere heisst: Die Vegetarierin, und ist von der südkoreanischen Schriftstellerin Han Kang. Beide Bücher haben mich beeindruckt, deswegen möchte ich euch davon berichten.

Das erste Buch spielt in Dagestan, einem Land, von dem ich bisher nicht viel wusste. Es ist eine russische Republik und liegt eingeklemmt zwischen Georgien, Südrussland und dem Kaspischen Meer. Es beschreibt die Liebesgeschichte von Patja und Marat. Beide leben in Moskau und kommen in ihren Heimatort zurück. Patja ist bereits fünfundzwanzig und damit in der Augen ihrer Eltern an der Grenze zur alten Jungfer. Die ganze Sorgen und Trachten der Eltern der beiden ist darauf gerichtet, ihre Kinder zu verheiraten. Ohne Rücksicht auf die Wünsche und Vorstellungen der beiden wird organisiert, manipuliert und gemauschelt. Dabei ist er Druck der Eltern und Familie, verbunden mit den traditionellen Rollenvorstellungen und Bildern so stark, dass die beiden sich dem fast nicht entziehen können. In teils beklemmenden, teils grotesken, teil auch berührenden Szenen wird der Kampf der beiden um ihr Eigenständigkeit im Spannungsfeld zwischen ländlich- archaischen Vorstellungen und der Moderne in Moskau beschrieben. Sehr lesenswert!
Auch im zweiten Buch geht es um den Kampf um Autonomie, allerdings auf eine ganz andere Art. Die Autorin beschreibt darin das Leben von Yong-Hye, die mit ihrem Mann, dessen Interesse an ihr sich darauf beschränkt, dass sie ihn bekocht und gelegentlich mit ihm schläft, in Seoul eine unscheinbare, unauffällige Existenz lebt. Eines Tages beschliesst sie, kein Fleisch mehr zu essen, was in dem offenbar fleischbessenen Südkorea völlig aus dem Rahmen fällt. Alle Versuche ihres Mannes, ihrer Familie und ihres autoritär-gewalttätigen Vaters, die zur "Vernunft" zu bringen, schlagen fehl. Sie ist umgeben von totalem Unverständnis, abgesehen von ihrem Schwager, der von ihr erotisch total fasziniert ist, warum sei hier nicht verraten. Mit beklemmender Beharrlichkeit geht Yong-Hye ihren Weg der Autonomie bis hin zur Selbstzerstörung. Die Geschichte ist verstörend, zum Teil abstossend und immer faszinierend.
In beiden Büchern geht es um das Thema der Autonomie vor dem Hintergrund einengender kultureller und familiärer Normen und Erwartungen. Beide kann ich sehr empfehlen!

Montag, 3. Oktober 2016

Ein Blick in das China vor Mao













Liebe Lesefreunde
China erscheint uns immer noch als ein fremdes, in Vielem unverständliches, manchmal unheimliches, aber auch faszinierendes Land. Trotz der Berichterstattung in den Medien, sporadischen Kontakten mit Chinesen und vielleicht sogar Besuchen habe ich den Eindruck, das Land nicht zu verstehen.
Hier möchte ich euch ein Buch empfehlen, dessen Lektüre einen kleinen Einblick gibt in das China vor der Revolution vom Mao. Es heisst 'Sperber über Peking', geschrieben ist es von Lao She. Im Buch beschreibt der Autor das Leben seiner Familie in Peking zur Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Der Leser wird eingeführt in eine versunkene Welt, die von Kaiserverehrung, korrupten Beamten, reichen Kaufleuten, und einem harten Kampf um das tägliche Leben geprägt war. Lao beschreibt seine Figuren mit sehr viel Sympathie, Humor und kritischer Ironie.
Mich hat zum einen beeindruckt, wie stark das Leben der Menschen damals von Hierarchie, Macht und Etikette bestimmt war, wie unentrinnbar die gesellschaftlichen Zwänge auf das Leben des Einzelnen wirkten, zum anderen aber auch, wie sehr die lange Zeit der selbstgewählten Isolation das Land vom Rest der Welt abgesondert hat, so dass das Wissen über die Verhältnisse ausserhalb des eigenen Lebenskreises nur minim war, was wiederum dazu geführt hat, dass China den Einflüssen des Kolonialismus eher wehrlos ausgeliefert war.
Ich denke, es lohnt sich, auf chinesische Literatur zurückzugreifen, wenn man mehr über dieses Land und seine Menschen erfahren möchte.
Der Roman ist im Moment nur antiquarisch erhältlich und ich bin gern bereit, mein Exemplar auszuleihen.