Mittwoch, 28. Dezember 2016

Ein Roman über das Auseinanderbrechen einer Familie





Liebe Lesefreunde
Ihr habt längere Zeit nichts von mir gehört, was damit zu erklären ist, dass ich ein 700-Seiten-Werk gelesen habe. Und zwar durch den neusten Roman von Jonathan Safran Foer, mit dem Titel: Hier bin ich, erschienen 2016.
Die Geschichte handelt von Jacob Bloch, einem liberalen Juden, der als Drehbuchschreiber für eine Fernsehshow mit seiner Frau und seinen drei Söhnen in Washington DC lebt. Jacob ist eingebettet in eine Generationenfolge, beginnend mit Großvater Isaac, der vor den Nazis nach Amerika fliehen und in Washington ein Geschäft aufbauen konnte, seinem Vater Irv und den Söhnen Sam, Max und Benjy. Jacobs Leben ist voll von Problemen. Die Beziehung zu seiner Frau ist voller Spannungen, dem ältesten Sohn Sam droht der Ausschluss von der Bar Mizwa, die aufgrund des ausdrücklichen Wunsches des Isaac durchgeführt werden soll, Sams Leben findet hauptsächlich im Internetspiel Other-World statt. Jacobs Leben ist ein einziger Kampf um die Anerkennung seiner Frau, seines Vaters und Großvaters und von seinen Kindern, denen er ein guter Vater sein möchte.
Ich tue mich schwer damit, eine Meinung zu dem Buch abzugeben. Der Einblick in eine liberale, jüdische, mittelständische Ostküstenfamilie war für mich sehr faszinierend und lehrreich, ebenso die Einbettung der Handlung in die jüdische Kultur und Geschichte. Und wie der Autor die zermürbenden Dialoge zwischen Jacob und seiner Frau und die innere Not des Jacobs darstellt, ist grosse Kunst. Aber, fast 700 Seiten stellen doch eine ziemliche Herausforderung dar, die hohe Ansprüche an das Durchhaltevermögen des Lesers stellt, zumal der Roman zwischendurch immer wieder Längen hat. Die Schlussfolgerung kann also sein: Wer den Roman liest, profitiert viel, muss sich aber mit Geduld wappnen. 
Ich wünsche euch allen alles Gute für's 2017!

Sonntag, 18. Dezember 2016

Ein spannender Bericht aus dem Altersheim




 












Liebe Lesefreunde
Das Buch, das ich euch heute vorstellen möchte, passt für die meisten noch nicht in die aktuelle Lebensphase. Trotzdem halte ich es für wert, beachtet zu werden. Es heisst 'Eierlikörtage, das geheime Tagebuch des Hendrik Groen, 83 ¼ Jahre'.
Der Autor Hendrik Groen veröffentlicht mit dem Buch seine täglichen Aufzeichnungen, die er als Insasse eines Altersheims in Holland gemacht hat. Am Beginn meiner Lektüre war ich eher skeptisch, weil ich ein weiteres Altersbuch erwartete, wie sie zuhauf geschrieben werden; Bücher, die in einer eher bemüht optimistischen Tonlage versuchen, das Thema Alter und alles, was dazu gehört, schön zu reden.
Das Buch von Groen ist grundlegend anders. Zum einen beschreibt er seinen eigenen Altersprozess, und wie er damit umgeht, sehr nüchtern, realistisch und ohne Beschönigungen. Gleichzeitig zeigt er aber immer auch auf, wie er versucht, sich trotz den zunehmenden Beeinträchtigungen immer wieder ein Stück Lebensfreude zu erkämpfen und zu erhalten. Gleichzeitig ist Groen auch ein scharfer, politisch denkender Beobachter, der sehr genau wahrnimmt, wie von staatlicher Seite (in Holland) auf Kosten der Alten gespart wird, und wie sie in dem System der Altersheime entmündigt und unwürdig behandelt werden. Mit Beharrlichkeit und Mut versucht er, immer wieder dagegen anzukämpfen und sich und seinen Mitinsassen ein Stück menschliche Würde und Achtung zu bewahren. Neben seiner Beharrlichkeit ist Groen aber auch ein sehr liebenswerter-empathischer Mensch, der sich um seine Mitmenschen kümmert und hilft wo er kann.
Wenn gute Literatur auch die Funktion hat, uns einen bisher wenig bekannten Lebensbereich auf kluge und spannende Art näher zu bringen, dann ist das Buch von Groen sicher gelungen und sehr lesenswert.

Sonntag, 11. Dezember 2016

Ein Buch und ein Film, die mich sehr angesprochen haben




 









Liebe Lesefreunde
Heute muss ich euch von einem Buch erzählen, das mich total fasziniert hat. Es heisst 'Nach einer wahren Geschichte' und ist geschrieben von Delphine de Vigan, einer französischen Autorin. Der Roman hat die Form einer Autobiographie und beschreibt die Begegnung zwischen der eher zurückhaltend-schüchternen Delphine und der klugen, eleganten und lebenstüchtigen L. Die beiden nähern sich immer mehr an, vertiefen ihre Beziehung und nach und nach drängt sich L. in Delphines Leben ein, versucht Einfluss zu nehmen auf deren neuen Roman und verunsichert damit Delphine zunehmend bis hin zu dem Punkt, dass sie nicht mehr schreiben kann und sich völlig abhängig von L. fühlt. Die Geschichte nimmt immer dramatischere Formen an bis hin zu hochspannenden Situationen, die fast schon Dimensionen eines Psycho-Thrillers annehmen.
Der Roman ist ein geniales Werk zum Thema Identität, Realität und Fiktion, geschrieben in einem eleganten Stil, voll von klugen Beobachtungen und Beschreibungen. Es hat mich sehr beeindruckt, mit welcher Präzision die Autorin die psychologischen Befindlichkeiten der beiden Hauptpersonen beschreibt, wie sie eintaucht in die Persönlichkeit speziell er Delphine, so dass ich mich immer wieder gefragt habe, ob sie die Geschichte 'nur' erzählt oder wirklich erlebt hat. Also, wer noch ein Weihnachtsgeschenk sucht, hier wäre eins!

Dann möchte ich euch auch noch unbedingt auf einen Film hinweisen, den ich letzthin gesehen habe, obwohl dies hier ja eigentlich ein Bücherblog ist. Er ist aber so gut, dass ich davon berichten muss. Und zwar handelt es sich um den neusten Film von Ken Loach, der in der Schweiz unter dem Titel
I, Daniel Blake.pngI, Daniel Blake läuft. Es handelt sich dabei um die Geschichte eines ca. 55-jährigen Schreiners, der nach einer Herzattacke krankgeschrieben wird und sich daran macht, die Unterstützungsgelder zu beantragen, die ihm von Rechts wegen zustehen würden. Dabei gerät er in die Mühlen des englischen Sozialsystems, das man nur noch als menschenverachtend charakterisieren kann. Ein wesentlicher Teil der Geschichte ist dabei die Begegnung von Daniel Blake mit einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern, einer Begegnung, die beiden Hilfe bietet, den Abstieg aber nicht aufhalten kann. Mich hat der Film tief berührt, auch wenn wohl zum Teil in den Kritiken von Sozialkitsch die Rede war.